Greifbare Medizin – Ein Interview mit Andrew Nugent-Head 2. Teil

Der zweite Teil des Interviews mit Andrew Nugent-Head ist im neuen YIN YANG Magazin erschienen. Für alle die das Magazin nicht besitzen, ist der Artikel auch auf unserem Blog verfügbar.

YinYang Juni 2015

 DM: Aber ist die traditionelle Ansicht nicht, dass die Intention (Yi) das Qi führt?

ANH: Qi zieht das Blut und Yi führt Qi, aber was bedeutet das wirklich? Dass man auf einmal eine Serenade auf dem Klavier spielen kann, wenn man nur daran denkt, kann man niemandem als Idee verkaufen. Ersetzen wir aber das Klavier mit Qi, können wir die Idee wunderbar verkaufen. Chinesische Medizin ist praktisch und logisch, es hat nichts Esoterisches an ihr.

Sie scheint nur esoterisch, wenn man die Bedeutung nicht versteht. Wie bei einem Blitz – entweder denkt man, es war Thor oder der Effekt der Elektronen. Es ist meist so: Je esoterischer etwas scheint, desto einfacher ist die Erklärung, wenn man es begriffen hat.Sobald man die Absicht hat, etwas zu tun, muss man physisch aktiv werden. Es reicht nicht, nur daran zu denken und zu erwarten, dass es erledigt wird. Als Arzt sollte man die Fähigkeit besitzen, in den Händen eine starke Wärme zu erzeugen und die Wärme so zu bewegen, dass der Patient ein elektrizitäts-ähnliches, kribbelndes Gefühl wahrnimmt, das über die Akupunktur Nadel hinaus geht. Es ist absoluter Unsinn anzunehmen, das Qi des Therapeuten gehe durch die Nadel in den. Es ist der Therapeut, der sein Qi-Feld ausdehnt und somit das Feld des Patienten beeinflusst.

DM: Was verstehst du als Feld?

ANH: Wenn es dem Behandelnden mit seinen Händen nicht gelingt, verlässlich Wärme und Kribbeln im Patienten zu erzeugen, wird seine Fähigkeit, dasselbe mit Akupunktur zu erreichen, viel schwächer sein. Es ist ein wenig so, wie mit einem Magneten Eisenspäne durch eine Schicht Papier hindurch zu bewegen. Das ist, was ich mit meinem Qi mache. Die Haut und die Muskeln des Patienten sind das Papier und sein Qi sind die Eisenspäne. Man kann das Qi, wie die Eisenspäne, an einem Ort sammeln und es lenken, allerdings nicht nur mit Absicht – man muss auch physisch etwas tun.

DM: Wenn ein Akupunkteur geneigt ist, kalte Hände zu bekommen, ist er dann auf das Qi des Patienten angewiesen, um die notwendige Arbeit zu erledigen? Viele Akupunkteure sind eher schmächtig. Vielleicht haben sie Akupunktur gelernt, weil sie selber krank waren, also verwundete Heiler, die oft selbst nicht sehr warme Hände haben…

ANH: Die Hände müssen aus dem richtigen Grund warm sein. Wenn ich exzessiv Alkohol trinke und viel nährstoffreiche Mahlzeiten zu mir nehme, sind meine Hände wahrscheinlich immer warm, sie können aber nicht wirklich mit dem Qi arbeiten. Es braucht die richtige Art von Wärme, und die Hände müssen trainiert sein, um das Qi des Patienten fühlbar und wirksam zu beeinflussen. Es geht nicht um Intuition, es geht um Wissen. Ich werde oft gefragt, wie wichtig Intuition ist. Meine Antwort darauf ist: Wenn man glaubt, dass Intuition in der Medizin wichtig ist, kann man eine intuitive Operation planen, in der der Chirurg entfernen kann, was er intuitiv entfernen möchte. Niemand würde dies tun. Ist aber Intuition in der chinesischen Medizin in Ordnung? Ich nehme an, wenn man im Patienten keine greifbare Veränderung hervorruft, spielt es wahrscheinlich keine Rolle, ob man sich auf Intuition verlässt. Aber will man, wenn jemand lebensbedrohlich erkrankt ist, sich auf Intuition verlassen? Nein. Wenn man ein Gefühl für etwas hat und es nicht erklären kann – schlag es nach, frag andere Praktizierende. Sobald man herausgefunden hat “wieso”, ist es keine Intuition mehr. Das Problem heutzutage ist, dass die chinesische Medizin hauptsächlich in einer konsequenzlosen Umgebung praktiziert wird. Es geht oft nicht darum, den Patienten besser zu machen, sondern seinen Zustand nicht zu verschlimmern.

DM: Das ist wahrscheinlich in Anbetracht dessen, dass die wenigsten von uns die Fähigkeit haben, lebensbedrohliche Zustände zu behandeln gar nicht so schlecht??

ANH: Du hast die Fähigkeit nicht, weil du die Herausforderung nicht hast. Erst wenn du etwas nicht behandeln kannst und es dich in der Nacht verfolgt, ist das die Herausforderung, die dich besser werden lässt.

DM: Was ist deine Meinung über moderne TCM-basierende Akupunktur, die – wie es scheint – annehmbaren Erfolg hat?

ANH: Wenn du mir diese Frage letztes Jahr (das Interview fand im Jahr 2012 statt) gestellt hättest, bevor ich meine Doktorarbeit an einer chinesischen Hochschule angefangen habe, hätte ich gesagt, TCM ist nicht ein Stil, sondern bedeutet einfach traditionelle chinesische Medizin. Wie du siehst, existierte und trainierte ich immer ausserhalb des offiziellen chinesischen Systems in einer traditionellen Weise mit traditionellen Praktizierenden und sagte daher, ich praktiziere traditionelle chinesische Medizin. Aber seit ich an der TCM-Universität Hangzhou an meiner Doktorarbeit forsche, sehe ich, dass TCM wirklich ein Stil geworden ist, der den Begriff vereinnahmt den ich jahrelang verteidigt hatte. Leute, die in China annehmbaren Erfolg mit diesem Akupunktur-Stil haben, können wenigstens auf die eine oder andere Art fühlbares De Qi  erzeugen. Aber keiner hat so viel Erfolg, dass es sich lohnt, darüber zu sprechen. Wenn ich 50 Patienten pro Tag sehe und 15-20 gesund werden, ist das ein sehr schlechter Durchschnitt. Wenn ich, um diesen schlechten Durchschnitt zu erreichen, meine Patienten jeden Tag kommen lassen muss und für jede Behandlung 20-30 Nadeln brauche, zeugt das nicht von einer guten Praxis. Wie die westliche Medizin ist auch diese Methode nicht effizient. Wenn man auf die Menge an Geld und Ressourcen schaut, die die westliche Medizin braucht, um ein spezifisches Resultat zu erreichen, ist sie sehr ineffizient. Jede erfolgreiche Behandlung in der westlichen Medizin funktioniert ähnlich,  wie eine Glühbirne mit einem grossen Generator zum Glühen zu bringen. Dasselbe gilt für die TCM-Akupunktur, die viele Nadeln braucht und die Patienten jeden Tag kommen lassen muss, um Resultate zu erzielen, die nicht wirklich beeindruckend sind. Ich will, dass meine Patienten so schnell wie möglich gesunden, je weniger Nadeln und Kräuter desto besser – und so beurteile ich auch meine Fähigkeiten, das heisst, ich stelle mir die Frage, ob ich weniger Ressourcen brauche und ob ich ein besseres Resultat erziele als früher, was allerdings meinerseits einen Mehraufwand bedeutet: mehr lernen, überdenken, praktizieren und ausprobieren.DM: Es wird oft gesagt, dass die TCM-Zangfu-basierende-Diagnostik den Einfluss der Kräutermedizin auf die Akupunktur zeigt und dass die Akupunktur früher ein eigenständiges Diagnose-System hatte, welches aber nicht in den TCM-Stil aufgenommen wurde.
ANH: Die TCM-Zangfu-basierende-Diagnostik wurde nicht nur in der Akupunktur eingeführt, in der Kräutermedizin ist sie ein noch grösserer Alptraum. Aber alle Information, die du brauchst, ist vorhanden, wenn du gewillt bist und den Effort erbringst, greifbare Medizin zu praktizieren.

DM: Aber es ist oft nicht die Faulheit des Praktizierenden – der Wille ist meist da.

ANH: Nein, die Absicht ist vielleicht da, aber kein Wille. Wenn der Wille vorhanden wäre, würden die Praktizierenden es auch herausfinden.

DM: Vermutlich müsste man nach China gehen, wie du es tatest?

ANH: Sie müssten, wie ich, den Effort erbringen, aber nicht unbedingt am selben Ort. Die Welt ist gross, und es gibt viele gute Praktizierende. Seltsamerweise ist China der beste und zugleich schwierigste Ort um Klinik-fokussierte, klassische Medizin zu lernen, was es zu einer schlechten Wahl für viele macht. Es gibt viele gute Leute ausserhalb Chinas. Es gibt Sachen herauszufinden, Fragen zu stellen und zu beantworten, ohne dass man je einen Fuss nach China gesetzt hat.

Man kann sich selber akupunktieren oder mit Freunden zusammenkommen, um all die Punkte zu stechen – aber es scheint, dass viele Leute, die klagen, keinen Zugang zu guter Medizin zu haben, nicht gewillt sind, den nötigen Einsatz zu erbringen. Ich experimentiere oft an mir selbst. Ja, vielleicht treffe ich einen Nerv meines Übungspartners und er hat für eine Woche einen Hängefuss, aber er erholt sich wieder. Qi ist nichts Schwächliches – schau dir ein Football-Game an, wie die Fans intensive Emotionen wie Betrübtheit, Wut, Freude und Euphorie durchleben. Ich kann an keinem Patienten dieses Niveau an Qi-Bewegung mit einer Nadel hervorrufen. In der Akupunktur geht es darum, Qi zu bewegen – aber auch Leben bewegt Qi, Traurigkeit bewegt Qi, sein Football Team anfeuern bewegt Qi…da besteht kein Unterschied. Wenn ich ein olympischer Athlet bin, muss ich mit schmerzenden Knien, gerissenen Sehnen, schlechtem Schlaf und Prellungen rechnen. Es gibt keinen Freifahrschein – oder konsequenzenfreie Erfahrung. Auch auf die Gefahr hin, Jemanden zu kränken, mache ich folgende Aussage: Wenn die chinesische Medizin eine Sportart wäre, würde sie heute von Sofa-Athleten dominiert.

DM: Ich bin mir nicht sicher, ob Gong Fu hier in der Medizin zu finden ist. Man lernt die Theorie und besteht die Prüfungen, was bedeutet, dass man alles Nötige mitbekommen hat.

ANH: Es ist eine physische Medizin, folglich braucht man körperliches Gong Fu. Es scheint, dass heutzutage viele Leute denken, es genüge die Theorie zu verstehen, um die Medizin praktizieren.

Wenn man greifbare Fähigkeiten haben will, muss man auch konkret üben. Das Üben sollte nicht mit dem Diplomabschluss aufhören – schliesslich hört ein NBA-Basketballspieler auch nicht auf zu trainieren, wenn er es in ein Team geschafft hat. Hier scheint verbreitet die Idee zu gelten, dass man, sobald man die Ausbildung abgeschlossen hat, nicht mehr üben muss, und dass es genügt, nur Nadeln zu stechen, wenn man einen Patienten hat. Ich verstehe, dass bei vielen Praktizierenden, die in der zur Diskussion stehenden Medizin gut sein möchten, eine gewisse Frustration vorhanden ist. Die Wahrheit ist aber, dass sie das grundlegende Konzept des Efforts nicht verstanden haben. Ob man Bücher liest, seine Nadeltechnik weiter verfeinert oder in einem Hospiz volontiert, um zu sehen, wie Krankheiten wirklich aussehen – es ist Arbeit. Da aber dieser Aufwand heutzutage in unserem Beruf nicht geleistet wird, erreichen wir den Standard der alten Ärzte nicht.

DM: Was begeistert dich persönlich im Moment?

ANH: Meine Non-Profit-Association for traditional Studies ist seit über 6 Jahren darauf fokussiert, eine umfassende Dokumentation mit einem der letzten noch lebenden Ärzte, der seine Ausbildung in der Zeit vor 1949 genossen hat, zu erstellen. Seitdem ich mit Dr. Li Hongxiang (1924–…) in der Klink arbeite, konnten wir hunderte Krankengeschichten sammeln und tausende Stunden Audio- und Videomaterial über die chinesische Medizin mit ihm aufzeichnen. Wir haben ein Manuskript über das Studium der chinesischen Medizin vollendet, welches ich nun am Übersetzen bin, und ich hoffe, dass es Dr. Lis Gesundheit erlaubt, eine Videoserie mit ihm herauszugeben, in der er das Shanghan Lun aus einer klassischen und Klinik fokussierten Perspektive diskutiert. Da die Zeit der traditionell Praktizierenden langsam zu Ende geht, nahm die Arbeit der Association immens zu. Da die Generation nach Dr. Li im neuen sozialistischen China ausgebildet wurde, ist er einer der Letzten seiner Art.

Das heisst auch, dass die Association ihren Schwerpunkt weg von der Bewahrung des alten Wissens, das wir in China seit über 20 Jahren aufgezeichnet haben, hin zur Weiterverbreitung verschieben wird. Wir sind begeistert, eine Stufe erreicht zu haben, in der unsere jahrlange Arbeit plötzlich eine Einwirkung auf die Qualität der klinischen Praxis hier im Westen hat – nämlich die klinische Anwendung aus der Perspektive der klassischen chinesischen Medizin.

Und schliesslich zu meiner eigenen Entwicklung: Ich bin begeistert, dass die Klassiker mein nächster Lehrer sein werden. Der Tag wird kommen, an dem Dr. Li nicht mehr hier sein wird. Wie Zhang Zhongjing in seiner Einleitung schreibt, wird es dann niemanden mehr geben, um offene Fragen zu beantworten. Somit habe ich vor, dem Vorbild von Zhang Zhongjing zu folgen und zu den Klassikern zurückzukehren, sie umfassend und tief zu lesen und in all die verschieden Kommentare einzutauchen. Mehr als nur das: Es begeistert mich, diesen Weg mit anderen Leuten zu teilen – ihnen die Klassiker so beizubringen, wie ich sie gelernt habe, mit einer Tasse Tee in der Hand. Live-Unterricht ist eine spannende Art zu lernen. Der Lehrer liest die Bücher laut vor und kommentiert sie, und mit jeder neuen Erkenntnis, die du hast, schiesst dir das Adrenalin ins Blut. Ich habe die geschriebenen Übersetzungen angeschaut. Ohne Lehrer, der sie interpretiert, neigen sie eher dazu, einschläfernd zu wirken.

DM: Es wird gesagt, die gläserne Decke in der chinesischen Medizin sei, ob man die chinesische Sprache beherrsche oder nicht. Was meinst du, ist Chinesisch lernen essentiell, um ein guter Praktizierender zu werden? Da man ohne Chinesischkenntnisse nicht tief in die Klassiker eintauchen kann, muss man mit den einschläfernden Übersetzungen vorliebnehmen.

ANH: Die gläserne Decke ist Unsinn. Das sagen die Sprachkundigen, um klüger zu erscheinen als jene, welche die chinesische Sprache nicht beherrschen. Da ich mein ganzes Erwachsenenleben in China verbracht habe und Chinesisch beherrsche, weiss ich, wovon ich rede.

Es gibt tausende chinesische Ärzte in China, die keine praktischen Fähigkeiten haben. Es handelt sich dabei um ein Problem, das von den Professoren an den TCM-Universitäten in ihren Vorlesungen offen diskutiert wird.

Wenn jemand, der nie Chinesisch gelernt hat, als Praktikant zu mir kommt und das nötige Trainingslevel erreicht wird er viel qualifizierter sein als viele, die Chinesisch sprechen, weil ich ihn zum Lernen und mich zum Unterrichten antreiben würde. Ich habe lieber einen Praktikant, der 5 Jahre Bettpfannen gesäubert hat, als einen, der 5 Jahre chinesisch gelernt hat. Aber wieso soll man nicht chinesisch lernen – es macht Spass! Es ist wie mit der Qi Arbeit – wieso soll man sich nicht die Mühe machen, gutes Qi zu haben? Die einzige Decke ist der Umfang des Aufwands, den man gewillt ist, zu leisten.

DM: Können wir noch ein wenig mehr über Fehlvorstellungen in Bezug auf Akupunktur und Qi reden? Wie unterscheidet sich, deiner Meinung nach, der Effekt von Akupunktur und Kräutermedizin?

ANH: Nun ja, was macht man mit der Akupunktur anderes als Qi bewegen? Akupunktur funktioniert nicht wie Kräuter – du kannst dem Körper nichts zufügen. Ich kann dir Kräuter geben, um dein Qi aufzubauen – du nimmst etwas zu dir, verdaust es, und du hast mehr Qi. Oder ich kann dir Kräuter geben, die dein Qi während einer halben Stunde auf der Toilette entleeren. Ich kenne keinen Akupunktur-Punkt, den ich stechen kann, und plötzlich füllst du dich mit dem Qi des Universums auf, wie wenn die Nadel ein Trinkhalm wäre, durch den du aufgefüllt wirst. Ich kann dir mit einer Nadel nicht mehr Energie zufügen, aber ich kann das Qi in dir besser funktionieren lassen, oder ich kann die Funktion eines Teils deines Systems, das Qi aufbaut, verbessern. Mit Akupunktur kann ich nichts von aussen zufügen. Und ich weiss auch nicht, wie ich einen Punkt stechen muss, damit du sofort unaufhörlichen Durchfall bekommst. und stelle mich gerne freiwillig zu Verfügung, Wenn jemand behauptet, das zu können, stelle ich mich gerne als Probanden zur Verfügung. Was man macht, ist Qi bewegen – entweder man sammelt es an einem Ort, um es zu stärken, oder man lässt es durch den Meridian fliessen, um Blockaden zu durchbrechen – sowie alle Variationen dazwischen. Als Praktizierender sollte man keine Angst vor der Anwendung am Patienten haben. Die genannten Fähigkeiten muss man aktiv anstreben. An meinem letzten Seminar in London erwähnte einer der Teilnehmenden, dass er die Huatuojiaji-Punkte aus Angst, dem Qi des Patienten zu schaden, noch nie tief gestochen habe. Ich zog darauf mein Shirt aus, legte mich auf die Massageliege undforderte ihn auf, eine drei-cun Nadel bis zum Nadelgriff in einen meiner Huatuojiaji-Punkte zu stechen. Diese drei Minuten Praktikum veränderten sein Akupunkturverständnis mehr als die insgesamt zwei Tage Unterricht.

DM: Ich beobachte, dass Akupunktur nicht sehr gut bei Leere-Zuständen wirkt.

ANH: Natürlich, wie auch? In diesen Situationen hat es sehr wenig Qi, mit dem man arbeiten kann. Ausser man hat selbst wirklich starkes Qi und kann so das Yuan Qi das Patienten an einem Ort sammeln, so dass es wieder anfängt, sich aufzubauen und zu multiplizieren. Der Patient wird wärmer bekommen und sich revitalisiert fühlen, sein System wird wieder anlaufen und anfangen, neues Qi aufzubauen. Alles was man tun kann, ist den Mechanismus des Körpers, der das Qi aufbaut, zu stimulieren.  Man kann  kein Qi zufügen. Das universelle Qi kommt nicht durch die Nadel in den Körper – das ist Feenstaub. Die Patienten haben manchmal nach der Behandlung spontane Veränderungen oder emotionelle Gefühlsausbrüche die ihre Genesung unterstützen – ähnlich der Wirkung eines schönen Spaziergangs in der Natur oder eines vertrauensvollen Gesprächs mit einem Freund bis tief in die Nacht. Bedeutet dies, dass himmlisches Qi in den Patienten übergegangen ist und ihn sich besser fühlen lässt? Das ist etwa so, wie den Donner mit Thors Hammer zu erklären, anstatt die Komplexität, die das Resultat erzeugt hat, zu untersuchen.

DM: Wie sieht es mit der Moxa-Behandlung aus? Da haben wir die Hitze und die Chemikalien.

ANH: Und der Duft, und die Lungen des Patienten, die ihn absorbieren – also alles Mögliche. Ich benutze nicht viel Moxa in meiner Klinik und bin demzufolge wahrscheinlich die falsche Person, um diese Frage zu beantworten. Moxa ist schliesslich keine Nahrung, Kräuter sind Nahrung. Die Kräuter müssen erst durch den Magen und verdaut werden, bevor sie dein Qi beeinflussen. Bei der Akupunkturbesteht diese Einschränkung nicht. Ich kann dein Qi mit der Akupunktur direkt beeinflussen, nicht aber mit den Kräutern, weil sie zuerst durch den Magen müssen. Anderseits kann ich dir mit der Akupunktur kein Qi zufügen. Mit den Kräutern ist das hingegen möglich, weil der Magen das Qi aus den Kräutern extrahieren kann. Darum haben wir Kräuter und Akupunktur. Benutzt beides – der Erfolg ist besser. Gewisse Probleme lassen sich nicht nur mit einem Werkzeug beheben, und auch keiner unserer Vorfahren in der chinesischen Medizin versuchte dies. Selbst wenn man noch nicht beides kann, ist es wichtig, sich selbst nicht nur als Akupunkteur oder Herbalist zu sehen. Beides sind schlicht Werkzeuge deines Berufes als Praktizierender der chinesischen Medizin.

Das Interview wurde von Daniel Maxwell geführt und ursprünglich im Jahr 2012 im“ Journal of Chinese Medizin“ veröffentlicht. Andrew Nugent-Head stellte uns den Artikel zur Übersetzung und Publikation freundlicherweise zu Verfügung.

 

Andrew Nugent-Head

AndrewTeachingAndrew hat es sich zur Aufgabe gemacht, Chinas traditionelles Wissen zu bewahren und zu vermitteln. In den 28 Jahren, in denen er in China gelebt hatte, lernte er mit den besten Meistern  der chinesischen Medizin, der Kampfkünste, der inneren Kultivierung und der daoistischen Philosophie. Andrew war der einzige Schüler von  Ba Gua Zhang Meister Xie Pei Qi, der in allen drei  Aspekten der Kunst unterrichtet wurde, das heisst in der chinesischen Medizin, in den Kampfkünsten und in der inneren Kultivierung. Dazu ist er der letzte „closing door“ Schüler und der designierte Nachfolger des über 90-jährigen Arztes Li Hongxiang.  Andrew hat  einen Master of Science in Oriental Medicine und einen Doktortitel der Zhejiang University of Chinese Medicine.

Als Begründer der Association for Traditional Studies unterrichtet er weltweit klassische chinesische Medizin.